In der Regel gilt es nicht als erstrebenswert, wenn sich die Politik in die Arbeit von Ermittlern einbringt. In Russland aber gelten andere Regeln. Auf Bitten mehrerer Abgeordneter werde man die mögliche Verstrickung des Westens in den Terroranschlag vom vergangenen Freitag überprüfen, bei dem im Konzerthaus der Moskauer Crocus City Hall mindestens 139 Menschen ermordet worden sind. Konkret soll ermittelt werden, ob "Organisation, Finanzierung und Durchführung von Terroranschlägen" auf das Konto des Westens gehen.

Vor den Ruinen der Crocus City Hall erinnern persönliche Gegenstände und Blumen an die Opfer des Terrors.
REUTERS/Maxim Shemetov

Dass die Ukraine, oder gar der "kollektive Westen", an den Angriffen schuld sein soll, das betonten die medialen Propagandisten des Kremls bereits wenige Stunden nach der Tat – trotz vieler Bekennerschreiben des "Islamischen Staats" (IS). Alles andere würde schließlich auf ein Versagen der Sicherheitsdienste hinweisen und darauf, dass man sich mit dem Ukrainekrieg verrannt und tatsächliche Gefahren durch wirkliche Feinde übersehen hätte.

Weil es aber mehrere gut belegte Bekenntnisse der Täter gibt – darunter von der Terrorgruppe selbst veröffentlichtes Videomaterial, das den Terror aus Sicht der Angreifer zeigt –, lassen sich die offensichtlichen Spuren kaum ignorieren. Präsident Wladimir Putin wählte daher in einer Ansprache am Montagabend die Formulierung, die Tat hätten "radikale Islamisten" begangen. Man müsse sich aber auch die Frage stellen, wem der Anschlag nütze. Eine Verstrickung der Ukraine halte er daher für wahrscheinlich.

Lukaschenko widerspricht

Als Anhaltspunkt dazu dient, dass die vier Hauptverdächtigen des Terrors nach der Tat in die Ukraine hätten reisen wollen: eine Behauptung, die allerdings von Aussagen des Putin-Verbündeten und belarussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko vom Montag nicht gerade untermauert wird. Dieser sagte, die Täter seien auf der Flucht nach Belarus gewesen, hätten wegen der strengen Grenzkontrollen aber umgedreht.

Für jene, die Präsident Putin besonders nahestehen, sind diese Anzeichen aber kein Hindernis, die Grenzen des Diskurses weiter zu verschieben. Nikolai Patruschew, Sekretär des russischen Sicherheitsrates und wohl engster Vertrauter des russischen Präsidenten, gab sich am Dienstag jedenfalls sicher. Von Reportern gefragt, ob der IS oder die Ukraine hinter dem Terror steht, sagte er grinsend: "Natürlich die Ukraine." Auch der Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, betonte die These. Er sagte am Dienstag dezidiert, "die USA, Großbritannien und die Ukraine" würden hinter dem Anschlag stecken. Sie hätten die Tat gebraucht, um Panik zu schüren. Kiew habe geholfen, die Täter "im Nahen Osten" zu trainieren.

Infolge der Angriffe hat Russland die sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen erhöht – wer zum Roten Platz will, muss sich durchsuchen lassen.
EPA/YURI KOCHETKOV

Was genau aus den Vorwürfen folgt, die von der Regierung in Kiew als absurd zurückgewiesen werden, ist unklar. Bortnikow sprach von "Vergeltungsmaßnahmen", später gab Russland bekannt, dass man den Chef des ukrainischen Geheimdienstes Kyrylo Budanow als legitimes Ziel für Angriffe sehe. Dieser ist Russland aber ohnehin schon lange ein Dorn im Auge, weil unter seiner Führung etwa erfolgreiche Angriffe auf die russische Schwarzmeerflotte oder auf Raffinerien auf dem Gebiet der Russischen Föderation in Auftrag gegeben worden sind. (mesc, 27.3.2024)