Sportlicher Mann in den 30ern hält sich den Rücken
Rückenschmerzen, Endometriose, Migräne: Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität massiv. Und auch wenn es paradox klingt: Bewegung ist gute Medizin dagegen.
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Schmerz kennen wir eigentlich alle. Es sticht womöglich im Rücken, bei jeder Bewegung. So sehr, dass man das möglichst vermeidet. Oder Kopfweh kündigt sich an, oft mehrmals pro Monat oder auch Woche. So manches Mal denkt man sich dann, ach, das wird schon wieder. Und wird es auch oft. Aber nicht immer. Denn Schmerz kann relativ schnell chronisch werden. Immerhin 1,8 Millionen Menschen in Österreich müssen damit leben, das ist eine von fünf Personen. Zwischen 300.000 und 400.000 davon sind schwer betroffen.

Besonders typisch sind Rückenschmerzen, Kopfweh, Arthrosen oder auch rheumatologische Erkrankungen, berichtet Waltraud Stromer, Anästhesistin, Intensivmedizinerin und Präsidiumsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft. Es gibt aber noch zahlreiche weitere Schmerzquellen. Und auch die Betroffenen sind breit gestreut. Sie verteilen sich quer über die Gesellschaft, mit besonders starker Prävalenz von etwa Mitte 40 bis ungefähr 60, also wenn die allermeisten mitten im Leben stehen. Und auch junge Menschen sind nicht davor gefeit, nach einem Bandscheibenvorfall etwa, durch Migräne, bei Fibromyalgie, rheumatoider Arthritis oder auch mit sehr starken Menstruationsschmerzen und Endometriose. Frauen leiden außerdem wesentlich häufiger, sie haben ein sechsmal höheres Risiko für chronischen Schmerz.

Doch wie wird das Problem überhaupt chronisch? Ein ständiger oder sehr regelmäßiger Reiz verändert die Schmerzrezeptoren, die Schmerzgrenze sinkt. Im Extremfall kann das sogar dazu führen, dass sich ein Schmerz, der ursprünglich eher harmlos war oder dessen Quelle akut womöglich gar nicht mehr vorhanden ist, intensiv bemerkbar macht, sogar bei leichten Berührungen.

Schmerz sollte man deshalb keinesfalls ignorieren, wenn er länger als einige Tage anhält. Bereits nach der relativ kurzen Zeit von zwölf Wochen spricht man in der Medizin von chronischen Schmerzen, die das Schmerzgedächtnis womöglich schon nachhaltig verändert haben – und die es schwierig machen, die Pein wieder loszuwerden. Doch der Reihe nach:

Unterschiedliche Arten von Schmerz

Es gibt nicht den einen Schmerz. So unterschiedlich die Ursachen dafür sind, so verschieden sind auch die Wahrnehmungen. Trotzdem gibt es eine allgemeingültige Definition: "Es handelt sich dabei um eine Sensation, die ich als schmerzhaft empfinde. Wenn sie länger als drei Monate besteht, kann sie chronisch werden", erklärt Stromer. Diese Sensation kann sich äußern als Pochen, als Ziehen, als dumpfes Gefühl, aber auch als Stechen, plötzliches Einschießen und mehr. Die Art des Schmerzes lässt dabei erste Rückschlüsse auf den Auslöser zu.

Es gibt den somatischen Schmerz, wenn Muskeln, Bänder oder Gelenke wehtun – den kennen auch die meisten. Auch alle Arten von Kopfschmerz fallen in diese Kategorie. Man unterscheidet zwei Unterarten, der klassische Gelenksschmerz, etwa durch Abnutzung, macht sich bei Bewegung bemerkbar. Das ist auch der Grund dafür, warum viele genau diese dann vermeiden – obwohl das Problem dadurch eigentlich besser würde. Eine bewegungsunabhängige Sensation dagegen, die sticht oder zieht, deutet auf ein entzündetes Gelenk hin. Sehr häufig macht sich das Gefühl verstärkt in der Nacht bemerkbar. Insgesamt ist der somatische Schmerz eher dumpf und strahlt häufig aus. Dazu kommen Hautreizungen oder akute Verletzungen und Entzündungen der Haut und der Schleimhäute. Die kann man aber meist gut lokalisieren, und sie klingen auch rasch wieder ab.

Der viszerale Schmerz kommt von den inneren Organen, er fühlt sich dumpf an, man kann ihn im Normalfall schlecht lokalisieren. Frauen mit Endometriose spüren ihn zum Beispiel oder Männer mit chronischer Prostatitis. Auch das Reizdarmsyndrom zählt zu dieser Kategorie. Die Sensation entsteht oft durch eine funktionelle Erkrankung ohne klar definierbare Ursache.

Schließlich gibt es noch den neuropathischen Schmerz. Der wird ausgelöst durch periphere oder zentrale Verletzungen oder Läsionen im Nervensystem oder genetische neurologische Erkrankungen, und er kann besonders quälend sein. Betroffene berichten von plötzlichem Einschießen, einem Gefühl des brennenden Elektrisierens, wie wenn Ameisen über die Haut laufen. Manchen tun dann auch Berührungen so weh, dass man sich nicht angreifen lassen will.

Reizbare Schmerzleitung

Der Zweck des Schmerzes ist klar: Er ist ein wichtiges physiologisches Warnsignal, das vor Überlastung, akuter Verletzung und mehr warnt. Anders gesagt: Er zeigt an, irgendwo stimmt etwas nicht. An sich eine gute Sache, doch wenn der Schmerzgrund nicht behoben wird, kann das zum Problem werden. Das liegt an der Schmerzverarbeitung. Stromer erklärt: "Die Schmerzsensation wird über die Nozizeptoren, die sich in allen schmerzempfindlichen Geweben des Körpers befinden, und die Nervenbahnen an das Hinterhorn des Rückenmarks weitergeleitet, das ist die graue Substanz, die sich dort befindet. Dort sitzt die nächste Schmerzzelle, die die Sensation dann über den Hirnstamm an das Gehirn weitergibt."

Nun gibt es zwei Faktoren, die zum Problem werden können: Kehrt ein Schmerz immer wieder und reizt die Schmerzzelle an der Peripherie, senkt sich dadurch die Reizschwelle: "Das bedeutet, ein immer kleinerer Reiz kann immer mehr wehtun. Das geschieht deshalb, weil weitere Nozizeptoren in der betroffenen Umgebung sozusagen rekrutiert werden und Schmerzimpulse senden, obwohl sie gar nicht unmittelbar betroffen sind. Das kann so weit gehen, dass auch Mechanorezeptoren rekrutiert und in Nozizeptoren umgewandelt werden." Mechanorezeptoren sind Sinneszellen, die mechanische Kräfte in Nervenerregung umwandeln, sie sorgen etwa für das angenehme Gefühl, wenn man gestreichelt wird. Stromer weiß: "Das kann so schlimm werden, dass eine sanfte Berührung schon richtig wehtut."

All diese Empfindungen werden über Nervenfasern an die Rückenmarkszellen weitergeleitet. Und zwar nicht nur von der ursprünglich schmerzenden Stelle im Körper, sondern auch von dem umgebenden Areal. "Diese Zellen werden also permanent erregt, und irgendwann wird es auch ihnen zu viel, mit der Folge, dass sie ebenfalls die Erregungsschwelle senken und mehr Schmerzreize an das Gehirn weiterleiten. Außerdem kann sich das Schmerzareal aufgrund dieser Sensibilisierungsmechanismen ausdehnen."

Interpretation im Gehirn

Im Gehirn angekommen, werden die Reize interpretiert. Das geschieht immer, egal ob es sich um einen einmaligen Schmerz handelt oder der Reiz öfter kommt. Das Gehirn vergleicht ihn mit früheren Erfahrungen, damit assoziierten Emotionen und Erinnerungen. Wird das Schmerzempfinden wieder weniger, sei es durch Therapie, weil die betroffene Person etwa genau die eine Bewegung vermeidet oder weil sich die Ursache aus anderen Gründen zurückbildet, kann sich auch das gesteigerte Schmerzempfinden wieder zurückbilden. "Erfährt man dann aber einen massiven Schmerzreiz oder einen, den man noch nicht kennt, macht sich dieser über die bereits sensiblere Leitung stärker breit, es kann zur Chronifizierung kommen", weiß Stromer.

Und genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass man nicht ignoriert, wenn einem etwas über längere Zeit wehtut. Ist das Problem einmal chronisch, kann man das sehr oft nämlich nicht mehr rückgängig machen. Stromer erklärt: "Wir reden in der Behandlung dann nicht mehr von Schmerzfreiheit. Es geht vielmehr darum, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern." Mit bestimmten Medikamenten versucht man dann, die Überempfindlichkeit zu reduzieren, man dämpft den prinzipiellen Schmerz und versucht, Verhaltensweisen zu entwickeln, die das Empfinden weniger stark in den Vordergrund treten lassen.

Stromer betont: "Eine gute Schmerzbehandlung baut immer auf dem biopsychosozialen Modell auf und setzt auf mehreren Ebenen an. Neben der eigentlichen Schmerzbehandlung ist das natürlich Bewegungstherapie, selbst und mit physiotherapeutischer Unterstützung, und auch psychologische Betreuung gehört dazu." Denn chronische Schmerzen führen oft zu Schlafstörungen, Angst, Depressionen, sozialem Rückzug und mehr. Es ist ein richtiger Teufelskreis, aus dem es auszubrechen gilt.

Keine Scheu vor Medikamenten

Natürlich ist es am besten, wenn man einen Schmerz gar nicht erst chronisch werden lässt. Das bedeutet, man darf entsprechende Signale des Körpers nicht ignorieren, Augen zu und durch ist definitiv keine gute Strategie. Verschwindet ein Schmerz nicht rasch wieder, sollte man das ärztlich abklären lassen. An oberster Stelle steht dann, den Schmerzreiz zu unterdrücken: "Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Bandscheibenvorfall. Ein Spezialist oder eine Spezialistin diagnostiziert den und kann auch feststellen, wo genau der Schmerz herkommt. Dann kann man einerseits die unmittelbare Stelle beispielsweise infiltrieren. Ist auch die Nervenwurzel durch eine Schwellung betroffen, das merkt man, wenn brennende, elektrisierende Schmerzen dazukommen, muss man noch andere entsprechende Medikamente geben."

Stromer warnt davor, im Akutfall bei Medikamenten zu sparen: "Man sollte unbedingt etwas einnehmen, bevor der Schmerz unerträglich wird, und das auch regelmäßig, entsprechend der Wirkdauer des verordneten Medikaments. Anders als viele glauben, kann man so in vielen Fällen die Dauer der Medikation, die Einnahme unterschiedlicher Wirkstoffe und auch deren Dosierungen sogar geringer halten. Wartet man zu lange ab, braucht man viel mehr, bis sich wieder alles beruhigt." Das Gleiche gilt auch für Kombinationstherapien, etwa wenn in schweren Fällen ein Opiat verschrieben wird. "Nimmt man das gemeinsam mit dem Wirkstoff Metamizol, kann man die Dosierung des Opiats um bis zu 40 Prozent verringern. Man sollte also nicht das schwächere Mittel weglassen, 'weil es eh nichts mehr hilft'. Die Kombination von Medikamenten kann hier wirklich wertvoll sein."

Natürlich sind schmerzstillende Mittel nicht die einzige Therapie, es gibt immer mehrere Säulen. Physiotherapie ist enorm wichtig, weiß Stromer, und Bewegung: "Flottes Gehen, Schwimmen, Radfahren, Tanzen, Stiegensteigen, all das hilft. Unser Körper ist ja nicht für langes Sitzen konzipiert. Schaut man dabei womöglich noch ständig nach unten, in Handy oder Laptop, sind Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule vorprogrammiert." Bewegung kann da auf mehreren Ebenen gegensteuern: Das Gewebe wird besser durchblutet, Muskeln und Gewebe gedehnt. Außerdem produziert das Gehirn Hormone wie Dopamin und Serotonin, die das Schmerzempfinden senken. Das kann wiederum psychische Belastungen verringern, es bessert die Schlafqualität und mehr. Außerdem kann es eine Gewichtsreduktion anstoßen, auch daher können ja Schmerzen kommen.

Frauen spüren mehr

Und es gibt auch noch ein spannendes Faktum: Das Klischee behauptet ja, Männern seien wesentlich schmerzempfindsamer und halten weniger aus. Tatsächlich ist es aber umgekehrt. In der Forschung hat sich eindeutig gezeigt, dass die Schmerzschwelle der Frau niedriger ist, sie ist auch wesentlich häufiger von Schmerzerkrankungen wie unterschiedlichen Rheumaarten, Fibromyalgie, Reizdarm und mehr betroffen. Das hat unter anderem mit dem Hormonzyklus zu tun, nach der Menopause gleicht sich das Empfinden bei den Geschlechtern an.

Stromer erklärt: "Ist der Östrogenspiegel hoch, ist die Schmerzempfindlichkeit geringer. Verstärkt wird das noch durch Progesteron." Sinken die Hormone in der zweiten Zyklushälfte jedoch ab, wird die Wahrnehmung wesentlich sensibler. Das ist unter anderem der Grund dafür, dass beispielsweise Migräneattacken gegen Zyklusende wesentlich häufiger auftreten.

Und auch in der Behandlung gelten unterschiedliche Maßstäbe. Frauen verstoffwechseln Medikamente nämlich viel langsamer als Männer, die Wirkstoffe können sogar doppelt so lang im Körper verbleiben. "Dadurch haben Frauen mehr Nebenwirkungen wie Übelkeit oder gastrointestinale Beschwerden, und es kann leichter zu Überdosierungen kommen", weiß die Expertin.

Warum halten Frauen dann trotzdem eine Geburt aus, etwas, das Männer womöglich nie schaffen würden? "Weil sie in den letzten Wochen der Schwangerschaft mit Hormonen geflutet werden, die das Schmerzempfinden reduzieren, Oxytocin zum Beispiel", sagt Stromer. Und auch soziokulturelle Prägungen tragen dazu bei. Frauen dürfen in den meisten Kulturen – im Gegensatz zu Männern – ihrem Schmerz Ausdruck verleihen. Und auch wenn sie dann manchmal als wehleidig gelten, scheint diese emotionale Komponente dazu zu führen, dass sie besser mit dem Empfinden umgehen können. (Pia Kruckenhauser, 15.2.2024)