Andrea Brem (Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser), Christine Miklau (Familienrichterin), Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Hedwig Wölfl (Geschäftsführerin möwe Kinderschutzzentren) bei der Präsentation des Leitfadens.
Andrea Brem (Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser), Christine Miklau (Familienrichterin), Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Hedwig Wölfl (Geschäftsführerin möwe Kinderschutzzentren) bei der Präsentation des Leitfadens.
APA/HELMUT FOHRINGER

Wien - Das Justizministerium sowie Expertinnen aus dem Kinder- und Frauenschutz haben am Freitag einen Leitfaden für Familienrichterinnen und -richter zum Umgang mit Gewalt in Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren präsentiert. Die Richtlinie wurde zwei Jahre in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe erarbeitet, ist allerdings nicht verpflichtend. Das soll dann in Zukunft die Reform des Kindschaftsrechts regeln, sagte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) bei einer Pressekonferenz.

Ziel des Leitfadens sei der Schutz von Kindern gegen alle Formen von Gewalt - neben physischer auch psychische Gewalt. Auch Gewalt gegen wichtige Bezugspersonen, wie etwa die Mutter, werden genauso schlimm empfunden, wie gegen das Kind selbst. Die Justiz will mit dem Leitfaden ein standardisiertes und koordiniertes Vorgehen in diesem sensiblen Bereich schaffen. Die Richtlinie soll vor allem junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Gerichten und in der Familiengerichtshilfe ansprechen und Hintergrundwissen vermitteln. Außerdem werde die Handreiche auch anderen im Bereich des Kinderschutzes tätigen Organisationen, wie etwa Kinderschutzzentren, psychosozialen Beratungsstellen, Frauenhäusern der Familiengerichtshilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Kinderschutzzentren, psychosozialen Beratungsstellen, Frauenhäusern, Gewaltschutzzentren oder der Polizei zur Verfügung gestellt.

Größere Reform dauert noch

Erste Fortbildungsveranstaltungen zu dem Leitfaden werden laut Zadić ab Februar starten. Ein erster Termin wird am Oberlandesgericht Graz abgehalten, erste Anmeldungen gab es bereits, das Interesse sei groß, ließ Familienrichterin Christine Miklau wissen. Weder die Richtlinie noch die Schulungen sind verpflichtend, das soll in Zukunft die Reform des Kindschaftsrechts bieten, das derzeit politisch verhandelt werde. Das soll dann Pflegschaftsverfahren, Obsorgeregelungen, Familienverfahren und auch das Thema Gewalt umfassen, kündigte Zadić an. "Das könnte noch etwas Zeit in Anspruch nehmen."

Eine höheren Stellenwert sollen bereits jetzt mit der Richtlinie für Familiengerichte der Kinderbeistand bekommen. Das ist ein psychosozial geschulter Begleiter mit viel Erfahrung in der Arbeit mit Kindern. "Im Justizministerium wollen wir, dass der Kinderbeistand möglichst häufig in Anspruch genommen wird", deshalb sei das in dem neuen Leitfaden auf festlegt worden, wann es ratsam sei, einen solchen herbeizuziehen, erklärte Zadić. Der Kinderbeistand sei "ein wichtiges Instrument" und eine "schonende und altersangemessene Begleitung", mit deren Hilfe das Gericht die "Stimme des Kindes" bei ihrer Entscheidung miteinbeziehen könne, sagte Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation "Die Möwe". "Da erleben wir auch einen Paradigmenwechsel, der uns sehr gut gefällt."

Bei der Kindschaftsrechtsreform werde die Beiziehung eines Kinderbeistandes dann verpflichtend, versicherte Zadić. Allerdings brauche es dann auch eine Aufstockung budgetärer Mittel und der personellen Ressourcen, gab Familienrichterin Miklau zu bedenken. 2022 waren 234, 2023 240 Kinderbeistände für die Justiz tätig, hieß es auf APA-Nachfrage aus dem Justizministerium.

Recht auf gewaltfreies Aufwachsen

Im Familienrecht würden bestimmte Grundsätze gelten, so Zadić. "Aber wir müssen ganz klar festhalten, bei Gewalt sind viele dieser bestimmten Grundsätze, die sonst im familienrechtlichen Verfahren auch sehr hilfreich sein können, nicht mehr gültig", sagte die Ministerin. Dazu gehört etwa die Annahme, dass der Kontakt zu beiden Eltern immer dem Wohl des Kindes entsprechen. "Wenn Gewalt im Spiel ist, ist das auch nicht mehr gültig, sondern man muss sich im Einzelfall alles genau anschauen", so Zadic. "Jedes Kind hat das Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen."

Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, bezeichnete die Reformierung des Kindschaftsrechts vor zehn Jahren, wo die gemeinsame Obsorge etabliert wurde, als "Rückschritt". Denn wo häusliche Gewalt herrscht, sei eine gemeinsame Obsorge "alles andere als zweckmäßig". Die Aussage, dass Kinder im Scheidungsfall immer ein Recht auf beide Elternteile haben, hat im Gewaltbereich zu massiven Problemen geführt. Von schwer misshandelten Frauen werde verlangt, dass sie ihre Männer verlassen um sich selbst und ihre Kinder zu schützen. "Im Zuge des Obsorgeverfahrens kann es aber dennoch dazu kommen, dass von den gleichen Frauen gefordert wird, dass sie mit dem Gefährder die Obsorge gemeinsam wahrnehmen sollen. In diesem Fall hat der Gefährder weiterhin die Möglichkeit die Frau zu terrorisieren sowie die Kinder zu instrumentalisieren und unter Druck zu setzen", so Brem.

Häusliche Gewalt

Der Leitfaden begründe nun, warum gemeinsame Obsorge im Falle von häuslicher Gewalt weder im Sinne des Kindeswohls ist, noch Müttern, die von massiver häuslicher Gewalt betroffen waren, zumutbar sei. "Jede Begegnung mit dem Gefährder erhöht das Angstgefühl", sagte Brem. Es würde oft bis zu einem halben Jahr dauern, bis die Betroffenen zur Ruhe kommen, nachdem sie räumlich aus der Gefahrenzone geholt werden.

Brem begrüßte auch, dass nun in dieser Richtlinie das Thema psychische Gewalt Platz gefunden habe. Familienrichterin Miklau berichtet auch aus ihrer Erfahrung heraus, dass es immer wieder erforderlich sei, Opfer von häuslicher Gewalt aktiv etwa nach Beschimpfungen oder Demütigungen zu fragen, weil sie das oft für rechtlich nicht relevant halten. (APA, 15.1.2024)