Jacob Elordi als reicher und schöner Felix in
Jacob Elordi als reicher und schöner Felix in "Saltburn" (2023).
IMAGO/Landmark Media

Kaum wurde der Jubel um die Serie so richtig groß, stand Jeremy Allen White schon halbnackt vor der Kamera. Der 32-jährige US-Schauspieler ist Hauptdarsteller von "The Bear", einer der Gewinnerproduktionen kürzlich bei den Golden Globes. Als Unterwäsche-Model für Calvin Klein räkelt er sich nun auf einer Dachterrasse lasziv auf einer roten Cord-Couch, die enge Short hebt sich am Oberschenkel ein wenig, den Mund hat er halb geöffnet, die Sehnen an den Muskeln seiner Oberarme treten hervor, sein Bauch kann mit Sixpack nur sehr behelfsmäßig beschrieben werden. Jeremy Allen White wird "dein neuer TV-Crush", ist sich "The Times" sicher.

Männliche Schauspielstars treten derzeit besonders oft als Schönlinge oder als neuester "Crush" in Erscheinung. Im vergangenen Jahr war es vor allem Pedro Pascal, jetzt sind es Jeremy Allen White, Timothée Chalamet oder Jacob Elordi. Ihr Aussehen und die Verhandlung ihrer Sexyness sind das zentrale Thema, wenn es um sie geht. Besetzen jetzt Männer die Rolle des Sexsymbols? Womöglich, weil die Reduktion auf den Körper bei Frauen oft nicht mehr als selbstverständlich hingenommen und als sexistisch kritisiert wird?

Timothée Chalamets Aufstieg begann 2017 mit der Coming-of-Age-Romanze "Call Me by Your Name". Inzwischen löst er bereits wegen ein bisschen sichtbarer Haut Begeisterungsstürme aus. Da reicht schon ein eher ungelenk wirkendes Posing beim Baden auf Instagram – mit "nacktem Oberkörper!", wie Promigazetten schreiben, obwohl "mit Pulli" wohl die aufregendere Nachricht wäre. Aber kann er überhaupt schauspielern? Nein, ist sich eine Autorin der "Zeit" sicher.

Timothée Chalamet bei der Weltpremiere von
Timothée Chalamet bei der Weltpremiere von "Wonka" in London im November 2023.
REUTERS

Seinen Erfolg habe er wohl eher der Tatsache zu verdanken, dass er mit Töchtern von Superstars liiert war, ein schauspielerisches Talent kann die Autorin beim besten Willen nicht entdecken. Er hätte mit Madonnas Tochter Lourdes und Johnny Depps Tochter Lily-Rose wohl lediglich die "richtigen Freundinnen" gehabt. Die Andeutung, sich hochzuschlafen oder dass die Sexyness Mängel bei der Profession überstrahlt, war früher für Frauen reserviert. Nicht mehr. Und auch andere Nachteile des Beauty-Fokus trifft diese Stars. Essstörungen, Objektifizierung und ein Karriereknick, wenn die Schönheit verwelkt – wobei bei männlichen Stars hierbei die Toleranzgrenze noch immer deutlich weiter hinten liegt.

Weniger riskante Sexualisierung

Der vermehrte Blick auf den Sexyness-Faktor bei Männern mit einem kräftigen Objektifizierungs-Touch könnte durchaus als Korrektiv des "Male Gaze" gedeutet werden. Ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt, sagt Andrea Seier, Professorin für Kulturgeschichte audiovisueller Medien am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft der Uni Wien. Die Filmwissenschafterin Laura Mulvey verwendete den Begriff des "Male Gaze" erstmals in den 1970er-Jahren und beschrieb damit einen Blick, der Frauen auf ihr Äußeres reduziert, sie objektifiziert und sexualisiert. Es sei ein Blick, der einzig ein machoides, heterosexuelles Begehren bedienen solle und die Gefahr in sich berge, dass die Zuseher:innen diesen Blick übernehmen.

Heute wird der Begriff "Male Gaze" längst nicht mehr nur zur Filmanalyse herangezogen. "Schon Studierende des ersten Semesters kennen alle den Begriff des Male Gaze aus Social Media, ohne den Text von Mulvey zu kennen", erzählt Seier. Es gibt inzwischen eine viel stärkere Kritik an der Sexualisierung von Frauen, die heute nicht mehr einfach hingenommen wird. Diese Sensibilisierung sei neu, sagt Seier, und das könnte womöglich zu einer Verschiebung führen. "Junge Männer könnten diese 'Lücke' füllen, insofern ihre Sexualisierung als weniger riskant erscheint."

Das starke Hervorheben der Erotik eines Männerkörpers könne man auch vor dem Hintergrund einer weiteren Ausdifferenzierung von Männlichkeit sehen, sagt Seier. Auch heterosexuelle Männer tragen heute Make-up, Nagellack und Schmuck, "da passiert derzeit viel". Vor allem bei Timothée Chalament wird immer wieder auf seine Offenheit für modische Experimente hingewiesen, seien es tiefe Dekolletés oder Seidenschals.

Vom Male zum Female Gaze?

Der vieldiskutierte Film "Saltburn" könnte als eine solche Umkehrung vom Male zum Female Gaze gedeutet werden. Nackte und stark erotisierte Frauen gibt es wenige, diesen Part übernehmen Männer. Jacob Elordi spielt den viel begehrten, reichen Felix, dem die Kamera oft besonders nah kommt, egal ob er schwitzt, raucht oder masturbiert. Und wem es noch immer nicht nah genug war: Eine kürzlich auf den Markt gekommene Duftkerze verspricht das Odeur des Badewassers, in dem Felix den derzeit wohl berühmtesten Film-Orgasmus hatte. Die letzten Tropfen des Badewassers leckt sein Verehrer Oliver (Barry Keoghan) genüsslich auf. Und obwohl es im Grunde nicht zu der Erzählung passt, hat auch Barry Keoghan als Oliver einen perfekt trainierten und definierten Körper. Keoghan gibt in "Saltburn" einen ruhigen, nerdigen Außenseiter, den alle hässlich finden und der keine Freund:innen hat. Sein Körper erzählt allerdings eher die Geschichte eines klassischen Ivy-League-Schönlings. Dieser Widerspruch scheint nicht weiter zu stören, Hauptsache, genug hübsche Kerle für "Saltburn".

Die Sexualisierung von Figuren im Film oder von Schauspieler:innen müsse man als Dynamik beschreiben, sagt Film- und Medienwissenschafterin Andrea Braidt, ebenfalls an der Universität Wien. Es sei schwierig, hier allgemein gültige Trends festzumachen. Der Möglichkeit, dass sich die Sexualisierung nun in Richtung Männer verschieben könnte, hält sie Trends wie den "No Bottom"-Look entgegen, also Kleidung von Frauen, die ohne Rock oder Hose auskommen. "Das stellt eine extreme Sexualisierung dar", sagt sie.

Der Schauspieler Pedro Pascal. 
Pedro Pascal spielt in "The Last of Us" eine Vaterfigur mit vielen Facetten.
Chris Pizzello/Invision/AP

Ein schon etwas älteres Phänomen ist der Hype um Pedro Pascal. Der Schauspieler ("The Last of Us", "Narcos", "Star Wars: The Mandalorian") ist mit seinen 48 Jahren im Vergleich zu den anderen weniger nackt und etwas älter. Er wurde vor allem als "sexy Daddy" abgefeiert. Die Begeisterung für Pascal strotzte nur so vor erotischen Fantasien, die in diversen Social-Media-Kanälen endlos ihren Ausdruck fanden.

Schön, aber depressiv

Doch auch bei Männern zollt das vorrangige Dasein als Objekt der Begierde seinen Tribut. Offen darüber gesprochen hat vor ein paar Jahren der Schauspieler Zac Efron. Er habe sich mit diesem Körper nicht gesund gefühlt, sagte Efron nach dem Dreh des "Baywatch"-Remakes aus dem Jahr 2017. Obwohl dieser Körper genau das repräsentieren sollte: Gesundheit, Fitness, Virilität. Doch in Wahrheit habe er sich "elend" gefühlt, die ständige Arbeit am Körper habe ihn ausgebrannt und depressiv gemacht.

So einfach, aus einem bestimmten Fach rauszukommen, ist es aber offenbar auch nicht: Aktuell ist Efron wieder in einem Film zu sehen, für den er hart trainieren musste. Für "The Iron Claw" über die Wrestler-Brüder Kevin und Kerry Von Erich musste Efron wieder einen enorm gestählten Körper vorlegen. Auch hier spielt Jeremy Allen White mit, der sich schwer beeindruckt von Efron zeigt. Er "nerve" – womit White auf dessen ambitionierten Trainingsplan anspielt. Er habe sich auch geplagt, sagt White, doch angesichts Efrons Körper habe er sich gefragt: "Warum versuche ich es überhaupt?" Vergessen sind die Interviews mit Efron nach dem "Baywatch"-Dreh, in denen er über die psychischen und physischen Folgen eines völlig illusorischen Körperideals sprach – und darüber, wie eng dieses Ideal an Essstörungen geknüpft sei.

Als Efron 2021 in einer Doku über Sardinien Pasta aß, wurde er emotional. Es sei so glücklich, wieder Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Jahrelang hätte er darauf verzichtet, er habe deswegen fast seinen Verstand verloren. "Du … du brauchst das, das ist so gut", sagte Efron sichtlich bewegt, während seine italienischen Gastgeber ungerührt weiteraßen. Weniger Jahre später musste Zac Efron wohl wieder auf jeglichen Genuß verzichten.

Egal ob es eine androgyne oder vielschichtige Erotik ist, ob klassischer Muskelmann oder das Objekt der Begierde für Menschen mit "Daddy Issues": Auch die Objektifizierung von Männern dürfte für diese ein endlicher Spaß werden. (Beate Hausbichler, 14.1.2024)