Junge, erkältete Frau mit Decke über dem Kopf und Teehäferl in der Hand.
Die Corona-Welle ist so hoch wie nie, allein deswegen sind aktuell 52.000 Menschen im Krankenstand. Und die Influenza-Welle nimmt gerade volle Fahrt auf. Locker nehmen sollte man beide Infektionen nicht, die Langzeitfolgen sind nicht zu unterschätzen.
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Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass erste Nachrichten über rätselhafte Lungenentzündungen in China in den Medien auftauchten. Knapp drei Monate später befand sich Österreich im Lockdown. Milliarden Infektionen weltweit folgten, knapp sieben Millionen Menschen sind bis jetzt offiziell an Sars-CoV-2 verstorben, in Österreich sind es bis Juni 2023 rund 22.500. Und da sprechen wir nur von jenen, die wirklich aufgrund der Virusinfektion verstorben sind. Ältere oder chronisch Kranke, deren Immunsystem so geschwächt war, dass sie Folgeerkrankungen erlegen sind, wurden nicht mitgezählt.

Erstmals aufatmen konnte man etwa zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, Anfang 2022. Die Omikron-Variante verursachte weniger lebensbedrohliche Verläufe, und die Immunität in der Bevölkerung war durch die größte weltweite Impfaktion der Geschichte massiv gesteigert worden. Diese beiden Entwicklungen sorgten gemeinsam für den Turnaround.

Deshalb kann man heute eine Frage stellen, die vor allem am Beginn der Pandemie oft als Behauptung in den Raum gestellt wurde – und die sich zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der fehlenden Immunität gegen das unbekannte Virus rasch als fatal herausstellte: Kann man Covid mit einer echten Grippe, also der Influenza, vergleichen?

Ähnlichkeiten und Unterschiede

Gleich vorweg: Beide Infektionen sind schwere Viruserkrankungen, die schwere Verläufe haben können, die Gesundheit langfristig womöglich massiv schädigen und an denen man potenziell sterben kann. Die Aussage, Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe, ist allein schon deshalb schwierig, weil sie die potenziellen Langzeitfolgen einer Influenza und auch das daraus resultierende Sterberisiko völlig verharmlost.

Das hat sich bei der Influenza in der vergangenen Saison wieder einmal gezeigt. In den Wintersaisonen 2020/21 und 2021/22 gab es praktisch keine Influenza-Fälle, weil die Corona-Maßnahmen auch ein Ausbreiten dieses Virus verhindert haben. Aber im Winter 2022/23, ohne besondere Schutzmaßnahmen, wurde das mit einer heftigen Welle nachgeholt, und über 4000 Menschen starben an Influenza. In der davor letzten massiven Grippesaison im Winter 2016/17 starben sogar knapp 5000 Personen daran. Und die diesjährige Welle nimmt gerade volle Fahrt auf, Ausgang noch ungewiss. Also sind Influenza und Corona gleich bedrohlich?

Ja und nein, sagt die Virologin Dorothee von Laer: "Covid-19 ist insofern mit der Influenza vergleichbar, als Immungesunde die Viruserkrankung in den meisten Fällen sehr gut wegstecken. Schwere Verläufe haben in erster Linie Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen." Besonders gefährdet sind hier Personen mit Herz-Kreislauf-Problemen, Diabetes und Übergewicht.

Es gibt aber auch ganz klare Unterschiede: "Influenza betrifft in aller Regel primär die Atemwege. Sars-CoV-2 kann sich dagegen auf alle Organe im Körper schlagen. Deshalb kommt es auch viel öfter zu postviralen Symptomen, die unter dem Namen Long Covid zusammengefasst werden", erklärt von Laer.

Ein weiterer Unterschied ist, dass Sars-CoV-2 in seiner Pathogenität, das ist die Fähigkeit einer Erregerspezies, nach Infektion eine Krankheit hervorzurufen, bisher eher schwächer wurde. Der Übergang von der Delta-Variante zu den zahlreichen Varianten der Omikron-Gruppe hat deutlich weniger schwere Verläufe verursacht. Beim Influenzavirus ist zumindest über die letzten drei Jahrzehnte die Pathogenität dagegen recht stabil geblieben. Von Laer vermutet: "Man kann sich vorstellen, dass die Gefährlichkeit von Sars-CoV-2 mit zukünftigen Mutationen weiter abnimmt. Aber mit Sicherheit sagen kann man das natürlich nicht. Ich bin ja keine Prophetin."

Viele Langzeitfolgen

Es gibt darüber hinaus einen wesentlichen Unterschied zwischen Influenza und Covid-19: Nach Covid kommt es wesentlich häufiger zu postviralen Symptomen. Das liegt am Virus, erklärt die Virologin: "Weil es fast alle Organe betreffen kann, gibt es auch viel mehr Entzündungsgeschehen." Entzündungen sind eine Reaktion des Immunsystems, mit dem es einen Erreger bekämpft. Sie können aber auch ein Überreaktion der Körperabwehr auslösen, es dauert dann länger, bis man sich wieder erholt.

Vor allem neurologische Symptome wie Schlafstörungen, Gedächtnisprobleme, eingeschränkte Belastbarkeit, Störungen des vegetativen Nervensystems oder Schwindel zeigen sich nach einer Sars-CoV-2-Infektion viel häufiger als nach einer Influenza.

Prinzipiell kann aber fast jede schwere Viruserkrankung Langzeitfolgen auslösen, das ist keine Corona-Spezifität. Das sollte man sich angesichts der steigenden Grippezahlen vor Augen halten. Erst vor wenigen Tagen wurde im renommierten wissenschaftlichen Journal The Lancet eine Studie zu "Long Flu" publiziert. Sie beschäftigt sich mit Langzeitfolgen nach Virusinfektionen und damit, inwiefern jene durch Influenza mit Long Covid vergleichbar sind.

"Viele Menschen glauben, dass sie Covid-19 oder die Grippe überstanden haben, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Das mag für einige Menschen zutreffen. Aber unsere Forschung zeigt, dass beide Viren langfristige Krankheiten verursachen können", sagt dazu Ziyad Al-Aly, klinischer Epidemiologe an der Washington University in St. Louis, Missouri, und leitender Studienautor.

Nicht nur Akutkrankheiten

Die Studie zeigt ganz klar, dass beide Infektionen das Risiko bergen, Langzeitfolgen auszulösen, auch wenn das bei Sars-CoV-2 noch häufiger der Fall ist als bei Influenza. Bei "Long Flu" konzentrieren sich die Symptome stärker auf die Lunge, während Long Covid öfter andere Organe betrifft. Weiters wurde gezeigt, dass das Sterberisiko nicht mit der Genesung vorbei ist: Mehr als die Hälfte der Todesfälle aufgrund der Infektion erfolgen nicht in den ersten 30 Tagen, sondern in den Folgemonaten – eben aufgrund von Langzeitfolgen.

Studienautor Al-Aly ist auch selbstkritisch: "Vor fünf Jahren wäre ich nicht auf die Idee gekommen, die Möglichkeit von 'Long Flu' zu untersuchen. Aber wir haben in der Pandemie viel gelernt, und eine der wichtigsten Lektionen ist, dass ein Virus, von dem wir zunächst alle dachten, es könne nur eine akute Krankheit verursachen, Millionen von Menschen mit Long Covid zurücklässt." Deshalb habe man sich gefragt, ob das auch bei anderen Viren der Fall sein könnte, etwa bei Influenza.

Dafür analysierte er mit seinem Team die Krankenakten von 81.280 US-amerikanischen Patientinnen und Patienten, die mit Covid ins Krankenhaus eingeliefert wurden, und von 10.985 Betroffenen, die wegen saisonaler Grippe ins Krankenhaus mussten. Danach wurden sie mindestens 18 Monate lang beobachtet, um mehr über Sterberisiko, Wiedereinweisung ins Krankenhaus und fast hundert weitere unterschiedliche Gesundheitsrisiken zu erfahren, etwa Probleme, die die unterschiedlichen Organsysteme des Körpers betreffen.

Heute stellt Al-Aly fest: „Wir müssen die Konzeptualisierung dieser Krankheiten als akute Infektionen überdenken. Denn eigentlich ist das nur der Blick auf die Spitze des Eisbergs. Die enorme Zahl an gesundheitsschädlichen Folgen in der postakuten Phase wird dadurch in den Hintergrund gedrängt." Deshalb sei es so wichtig, dass man aufhöre, Virusinfektionen zu trivialisieren: "Sie sind die Hauptursache für chronische Krankheiten."

Gefahr Autoimmunerkrankung

Eines dieser Langzeitrisiken sind Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1, die Schilddrüsenerkrankung Hashimoto oder Rheuma. Auch sie können sich potenziell nach jeder schweren Infektion manifestieren, "aber Corona ist da wirklich Weltmeister", sagt Virologin von Laer. Dafür, warum es nach viralen Infekten überhaupt dazu kommt, gibt es verschiedene Hypothesen. Eine ist, dass das Immunsystem bei der Bekämpfung der Entzündung, wenn es das betroffene Gewebe zerstört, einen Fehler macht und dies dann die Autoimmunerkrankung auslöst.

Die verbreitetere Hypothese ist, dass ein Virus an manchen Stellen seiner Bestandteile körpereigenen Eiweißen ähnelt, man nennt das Mimikry. "Das Immunsystem glaubt dann, das körpereigene Eiweiß ist das Virus und bekämpft es", erklärt von Laer.

Kindlicher Typ 1-Diabetes, das Guillain-Barré-Syndrom oder das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS sind Autoimmunerkrankungen, von denen man weiß, dass sie sehr oft von einer vorangegangenen Virusinfektion ausgelöst werden. Das Risiko für eine Autoimmunreaktion verschwindet übrigens nie ganz, auch eine zweite oder dritte Infektion kann sie auslösen. Es ist aber umso unwahrscheinlicher, je besser die Immunität ist.

Impfen hilft

Und auch Impfungen senken das Risiko beträchtlich, das ist die gute Nachricht. Sie waren generell der große Gamechanger in der Pandemie, in Kombination mit der verringerten Pathogenität der Omikron-Varianten. Nur durch das breitflächige Impfen konnte so rasch eine breite Immunität erreicht und Millionen Todesfälle verhindert werden. Die prophylaktische Impfung, also jene vor einer Infektion, senkt außerdem das Risiko für postvirale Syndrome, wenn man danach dennoch erkrankt, um rund 50 Prozent, weiß von Laer.

Es gibt auch die therapeutische Impfung als Ansatz für postvirale Syndrome, also eine nochmalige Stimulation des Immunsystems durch das Vakzin, die bestehende Symptome verringern oder sogar ganz eliminieren soll. Das scheint nach heutigem Wissensstand aber eher keine Verbesserung zu bringen – auch wenn es in einigen Einzelfallbeschreibungen geholfen hat, sagt von Laer. "Das letzte Wort ist da aber noch nicht gesprochen." Andere kausale Therapien gibt es derzeit noch nicht, man kann nur symptomatisch behandeln.

Das bestätigt erneut, wie wichtig die Impfung ist, sowohl gegen Sars-CoV-2 als auch gegen Influenza. Wer sich die noch nicht geholt hat: Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dafür. Die Corona-Welle ist so hoch wie nie, 52.000 Krankenstände mit diesem Grund wurden Anfang der Woche gemeldet. Und auch die Influenza nimmt nun richtig Fahrt auf. In West- und Nordeuropa ist sie bereits weit verbreitet, die Erfahrung zeigt, dass es dann nicht mehr lange dauert, bis die Welle auch bei uns ihren Höhepunkt erreicht, weiß der Infektiologe Christoph Wenisch. Im Influenza-Impfstoff sind die heuer zirkulierenden Stämme enthalten, die Schutzwirkung ist daher sehr gut.

Und auch die Corona-Auffrischung sollte man sich holen, wenn der letzte Viruskontakt länger als sechs bis zwölf Monate her ist. Von Laer legt sie allen ans Herz, vor allem aber allen ab 60, allen Vorerkrankten und jenen, deren Immunsystem beeinträchtigt ist. Und auch das Tragen einer Maske empfiehlt sie überall dort, wo man keinen Abstand halten kann, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln: "Man weiß, wie gut sie schützt, vor allen Viruserkrankungen. Das sollte jeder vernünftige Mensch tun." Vor allem aber jene mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf. (Pia Kruckenhauser, 21.12.2023)