Neben dem Bücherregal hat sich plötzlich eine Baustelle aufgetan. Mit eisstielgroßen Zaunlatten und gelb-schwarzem Absperrband wird der Bereich im Wohnzimmer abgesperrt. Drumherum weiße Fußabdrücke, die winziger sind als Palmkätzchen. An der Wand ist eine Mitteilung angeschlagen: "Weihnachtswichtel zieht ein". So oder so ähnlich geschah es Anfang Dezember in vielen Wohnzimmern von Momfluencern, also Müttern, die in den sozialen Medien Reichweite erlangen, weil sie ihre Kinder bindungsorientiert, zuckerfrei und immer in Erdtönen gekleidet großziehen, ohne dabei Flecken auf ihrem Vanilla-Girl-Look zu hinterlassen. Das ist von meiner Realität so weit entfernt, dass ich fast neidisch bin, ich habe bisher noch nicht einmal ein einziges Geschenk!

Wie süß! Wichtel machen sogar Dreck

Der Brauch hinter dem Wichteltürchen-Trend stammt aus Skandinavien. Dort übernehmen Weihnachtswichtel, auf dänisch Julenissen, in der Nacht die Weihnachtsvorbereitungen, spielen den Kindern aber auch Streiche oder hinterlassen wie gesagt Dreckspuren. Ihre Anwesenheit wird mit einer Miniaturtür, der "Nissedør", ähnlich wie eine Katzenklappe in der Wand, angedeutet.

Eine Wichteltür zur Vorweihnachtszeit ist ein dänischer Brauch und Instagram-Trend.
Eine Wichteltür zur Vorweihnachtszeit lässt Kinderaugen strahlen.
Getty Images/Filippo Bacci

Den Kindern bereitet dieser Brauch natürlich große Freude. Sie können sich ausmalen, wie kleine bärtige, zipfelmützige Wesen nachts vor die Tür treten, ihre klitzekleinen Leitern überall anlehnen, um dann Vanillekipferln für die Familie zu backen, und am nächsten Morgen ist maximal ein wenig Staubzucker auf der Arbeitsplatte und vor der Zwergentür zurückgeblieben und natürlich herrlich duftende Kipferln. Was sie nicht sehen: die Person, mutmaßlich eine Mutter, die den Teig gerührt, geformt und gebacken hat, anschließend die Küche wieder sauber gemacht hat, um dann wieder etwas Staubzucker auszustreuen, nur um die Spuren auf den kleinen Wichtel zu lenken.

Alles alte, weißbärtige Männer

Meine Schwester und ich fühlen uns schäbig, wenn wir vom Christkind erzählen, weil unser letzter Kirchenbesuch ein erzwungener in der Kindheit war, und der Weihnachtsmann kommt bei unseren Eltern gar nicht gut an. Wir suchen deshalb nach einer romantischen Alternativerzählung für unsere Kinder, wie die Geschenke unter den Weihnachtsbaum kommen. Da waren diese Wichtel im Gespräch. Aber dann bekommen ja wieder andere den Dank für ihre Mühen, wirft meine Schwester ein.

Väterchen Frost unterwegs in Moskau.
Väterchen Frost unterwegs in Moskau.
IMAGO/ITAR-TASS

Uns fällt auf, dass diejenigen, von denen Kinder glauben, dass sie Weihnachten möglich machen, alle Männerfiguren sind. Neben dem Christuskind sind das sogar ausschließlich alte, weißbärtige Männer. Das Christkind geht wenigstens noch als nichtbinäres Wesen durch, alle anderen Figuren haben einen langen Rauschebart.

Dabei gehört zu den wenigen Aufgaben des ältesten Mannes in unserer Familie – ganz rollenkonform –, den Tannenbaum im Wald zu schlagen, sich vor dem Reinbringen die Füße abzutreten und auch mal mitzusingen.

Wir haben also zwei Probleme. Erstens: Wie verteilen wir die zusätzliche Arbeit, die zu Weihnachten anfällt, gerechter? Und zweitens, wie verschleiern wir das noch vorhandene Ungleichgewicht bei der Rollenverteilung nicht gegenüber dem Nachwuchs, der ja glaubt, die Hauptlast läge bei irgendwelchen Fantasiewesen?

Eine Wichteltür mit Leiter, Tannenbäume und sonstigen Miniaturutensilien.
Die Weihnachtswichtel sind eingezogen. Sie ziehen sich vorbildlich die Schuhe vor der Tür aus. Manche erwarten auch, mit Porridge oder Milchreis gefüttert zu werden.
Matthias - stock.adobe.com

Zu Ersterem: Bei den Geschenken sind wir progressiv, da wichteln wir. Um das Festmahl kümmern sich inzwischen auch die Brüder an ihrem zugeordneten Tag, aber man muss es ihnen verordnen. Die weihnachtliche Mental Load – dazu zählen beispielsweise Menüplan, Einkauf vor den Schließtagen, Bus- und Zugfahrplan für Heiligabend checken, Baumschmuck und -Ständer, Tischdecke, Racletteplatte auf dem Dachboden finden, Bettzeug beziehen etc. – liegt vermutlich auch bei vielen anderen "modernen" Familien noch immer meist bei den Frauen.

Verwaltung der Weihnachtsämter und andere Mental Load

Es gab schon Diskussionen, ob wir in den Streik treten sollen. Die haben sich allerdings verflüchtigt, weil was, wenn die ganze Familie anreist und dann nichts ...? Keine Kerzen, kein Punsch, keine Kekse, keine Geschenke (nicht einmal für die Kinder) oder schlimmer noch: ein leerer Kühlschrank? Wozu kommt man dann überhaupt noch zu seinen Eltern?

Die vergangenen 15 Jahre haben wir Stück für Stück die Aufgaben unserer Mutter auf uns vier Kinder übertragen. Noch sind es die zwei Schwestern, die das Organisatorische daran übernehmen, aber der zarte Wille, es dann auszuführen, ist bei den Brüdern schon da. Und zumindest wird über den Aufwand solcher Feiern gesprochen, der sonst im Verborgenen bliebe.

Amu Nowruz, der Onkel, der im Iran die Kinder beschenkt.
Amu Nowruz, der Onkel, der im Iran die Kinder beschenkt.
Wiki Commons/Rye-96

Zum zweiten Problem: Dass Männer die Care-Arbeit zu Festtagen claimen, zieht sich durch die verschiedensten regionalen Bräuche. Amu Nowruz beispielsweise ähnelt stark dem Weihnachtsmann und beschenkt zum persischen Frühjahrsfest die Kinder, Djed Moros, das Väterchen Frost, kommt zum russischen Neujahr mit seinen Gaben, und im Skandinavischen gibt es neben dem Nisse auch den Tomte, dessen weißer Bart auf den meisten Abbildungen sogar bis zu den Füßen reicht.

Was ist also die Lösung, wenn alle alternativen Erzählungen das Ziel verfehlen und die eh schon unsichtbare Fürsorgearbeit auch noch extra verschleiern? Ämter zu übertragen wäre die logischste, aber dafür ist bekanntermaßen auch eine Menge Mental Load notwendig. Welches Geschlecht haben eigentlich Engel? (Maria von Usslar, 16.12.2023)