Mädchen nimmt Antibiotikasaft ein
Fiebersäfte für Kinder, gängige Antibiotika oder Erkältungsmittel sind Mangelware. Diese können bei Engpässen nun in Apotheken direkt gemischt werden.
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Man hustet und schnäuzt in Österreich. Gut 15.000 neue grippale Infekte hat der Grippemeldedienst der Stadt Wien in der vergangenen Woche bereits gemeldet. Und da der Herbst nun endgültig seinen Einzug gehalten hat, werden diese Zahlen weiter nach oben wandern.

Das schürt Ängste, dass relevante Medikamente wie gängige Antibiotika, Schmerzmittel und entzündungshemmende Mittel in den Apotheken wieder einmal nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Vor allem fehlende Fiebersäfte für Kinder lassen bei Eltern schon einmal die Nerven blankliegen.

Um erneute Engpässe zu vermeiden, haben sich Gesundheitsministerium und Pharmagroßhandel (Phago) auf die Schaffung von Wirkstofflagern geeinigt, die Zutaten für Erkältungsmedikamente und gängige Antibiotika an 23 Standorten in Österreich bereithalten sollen. Wichtige Arzneien können dann bei Engpässen in den Apotheken direkt gemischt werden.

Damit, so die Erwartung, sollten wir gut über den Winter kommen. Doch langfristig ist das Problem dadurch keinesfalls gelöst. Denn die Produktion von Rohstoffen vor allem für sehr günstige Arzneien ist fast gänzlich in Niedriglohnländer wie Indien ausgelagert. Deshalb fordern der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) und der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) weitere Maßnahmen, etwa höhere Medikamentenpreise.

Europaweite Strategie

Das Thema ist dabei kein rein österreichisches, es betrifft die gesamte EU. Es wäre wenig sinnvoll, würde Österreich im Alleingang versuchen, mehr Arzneimittel aufzustellen. Das Gesundheitsministerium unter Johannes Rauch (Grüne) verweist deshalb darauf, dass das Thema EU-weit gelöst werden soll.

Aber wie kann die Produktion reibungslos ablaufen? Hier liegt nämlich das Hauptproblem. "Jeder Rohstoff in der Medikamentenherstellung muss gewisse Qualitätskriterien erfüllen. Doch oft kommt es zu Verunreinigungen, oder Rohstoffe werden falsch gelagert und etwa durch Überhitzung unbrauchbar", erklärt Ghazaleh Gouya-Lechner. Die ausgebildete klinische Pharmakologin berät und begleitet Pharmafirmen im Zuge von Studiendesigns und Medikamentenzulassung.

"Solche Abweichungen passierten in den vergangenen Jahren immer öfter. Das dürfte daran liegen, dass vor allem im Bereich von Generika und sehr günstigen Medikamenten die Investitionen in die Produktionsanlagen zurückgegangen sind", sagt Gouya-Lechner. Für so manche Rohstoffe gibt es deshalb nur zwei oder drei Lieferanten. Passt bei einem die Qualität nicht, ist es schwierig, dafür Ersatz zu finden.

Problem Outsourcing

Gerade in der Produktion von Arzneimitteln müssen aber strenge Qualitätskriterien gelten, man kann "kein Auge zudrücken". Entsprechend qualifiziertes Personal für die Qualitätskontrolle zu finden kann herausfordernd sein. Gleichzeitig ist der Markt für Arzneimittel in den vergangenen Jahren stark gewachsen – und zwar nicht erst seit der Pandemie, Engpässe sind zumindest seit dem Jahr 2017 ein Thema. Dieser Entwicklung aus finanzieller Ausdünnung einerseits und gestiegener Nachfrage andererseits kommen die Rohstoffproduzenten, die europäische Unternehmen für die Fertigstellung beliefern, nicht hinterher.

Den Pharmafirmen vorzuwerfen, dass sie die Rohstoffproduktion in Niedriglohnländer verlegt hätten, um ihre Profite zu maximieren, sei dabei zu kurz gegriffen. "Natürlich machen diese Unternehmen Profit. Aber damit allein würden sie nicht sehr lange überleben", sagt Gouya-Lechner. "Sie investieren permanent in Forschung und Entwicklung, oft hunderte Millionen Euro für ein Medikament. In diesen Unternehmen arbeiten außerdem bestens ausgebildete Menschen."

Die Politik ist nun gefordert, dieses Problem zu lösen. Im April 2023 hat die EU einen Vorschlag zum EU-Arzneimittelrecht vorgelegt. Die Verhandlungen dazu laufen nach Prüfung im November an. Ab Jänner 2024, wenn Belgien den Vorsitz von Spanien übernimmt, gibt es einen dichten Verhandlungskalender zur Causa. Ziel des "EU-Pharmapakets" ist unter anderem, Medikamentenproduktion langfristig nach Europa zu bringen und leistbar zu halten. Im Juni finden allerdings Europawahlen statt, danach muss sich eine neue Kommission konstituieren. Es kann also noch dauern. (Pia Kruckenhauser, 7.11.2023)