Abstrakte, teils unscharfe Blasen repräsentieren instabile Zustände in Atomen; magischer Sauerstoff
Instabile Atome werden eher früher als später ihre Bestandteile los (Symbolbild). Das gilt auch für den erstmals hergestellten magischen Sauerstoff.
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Die Naturwissenschaften haben mit Magie wenig zu tun – auch wenn sie sich erst im Laufe der Zeit etwa von der Alchemie verabschiedeten, die Stoffe in mythische Zusammenhänge setzte und heute für das Ziel der künstlichen Goldherstellung bekannt ist. Dass man heutzutage in der Kernphysik winzige Partikel mit großer Präzision abschießen und dadurch Atome umgestalten kann, hätte die Pioniere der Disziplin vermutlich zum Staunen gebracht. Nun schaffte es ein japanisches Forschungsteam zum ersten Mal, eine bestimmte Art von Sauerstoff herzustellen – und diese wird fachsprachlich sogar als "doppelt magisch" bezeichnet.

Dabei dreht sich alles um ein sogenanntes Isotop des Sauerstoffs. Wie ein Blick ins Periodensystem verrät, wird Sauerstoff dadurch definiert, dass ein Atom acht Protonen im Kern hat. Hinzu kommen üblicherweise genauso viele Neutronen, die sich ebenfalls im Kern befinden. Und acht Protonen ergeben zusammen mit acht Neutronen die am weitesten verbreitete Form, Sauerstoff-16 (16O). Währenddessen "schwirren" die Elektronen auf unterschiedlichen Bahnen um den Kern.

Keine Zahlenmystik

Es gibt aber auch Sauerstoff-Isotope, die neun oder zehn Neutronen besitzen und dabei noch relativ stabil sind. Selbst vier oder 20 Neutronen sind möglich, derartige Alternativformen sind allerdings instabil und radioaktiv, die meisten zerfallen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde.

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Die "Magie" kommt ins Spiel, wenn sich dabei die Zahlen zwei, acht, 20, 28, 50 oder 82 wiederfinden. Das ist kein Trick aus religiösen Zahlenmythologien, bei denen man der christlichen Dreifaltigkeit huldigt oder wie in der jüdischen Kabbala Buchstaben und Ziffern verknüpft. Es gibt auch in der Kernphysik "magische Zahlen". Sie deuten auf stabilere Isotope hin, wenn die Anzahl der Protonen oder Neutronen einer Zahl aus der angeführten Liste entspricht.

Wir sind von doppelter Magie umgeben

Demnach wäre ein Sauerstoffisotop mit acht Protonen und 20 Neutronen (28O) stabiler als bestimmte andere Formen: Sowohl die Protonen- als auch die Neutronenzahl (und die Gesamtzahl dieser Kernteilchen) finden sich in der Liste der magischen Zahlen wieder. Eine derartige Konstellation darf "doppelt magisch" genannt werden. Der übliche Sauerstoff-16 ist ebenfalls doppelt magisch, immerhin besitzt er ja acht Protonen und acht Neutronen.

Die Teilchen im Atomkern sind in Schalen angeordnet, und wenn eine solche gefüllt ist, ist sie also besonders stabil. Für diese Erklärung gibt es weitere doppelt magische Beispiele, etwa Helium-4 und Kalzium-40.

Eine Forschungsgruppe um Yosuke Kondo vom Tokyo Institute of Technology schaffte es, Sauerstoff-28 herzustellen und erstmals auch nachzuweisen, wie sie in der Fachzeitschrift "Nature" beschreibt. Dazu belud sie quasi eine Kanone mit Kalzium-48-Isotopen und schoss damit auf Vertreter des Elements Beryllium. Dabei entstand Fluor-29, das neun Protonen und 20 Neutronen besitzt. Dieses wurde wiederum auf eine Wand aus flüssigem Wasserstoff geschossen, ein Proton löste sich und heraus kam das gewünschte doppelt magische 28O.

schematische Grafik, die die einzelnen im Text beschriebenen Schritte veranschaulicht
So stellte das japanische Forschungsteam Sauerstoff-28 her – zumindest für kurze Zeit.
Rituparna Kanungo, Nature 2023

Dass derartige Verfahren nicht im Hinterzimmer funktionieren, kann man sich denken: Das Forschungsteam arbeitete an der Radioactive Isotope Beam Factory (RIBF) in der japanischen Stadt Wakō. Ihr ringförmiger Teilchenbeschleuniger, der in den Farben Blassviolett und Hellgrün gestrichen ist, hat einen Durchmesser von 18 Metern und wiegt mehr als 8.000 Tonnen. Es ist der stärkste Zyklotron der Welt.

Wie die Grafik zeigt, zerfiel das Sauerstoff-Isotop in Sauerstoff-24 und vier Neutronen. Genau genommen konnten nur diese beiden Zerfallsprodukte nachgewiesen werden, es handelt sich also um einen indirekten Nachweis.

Noch schwererer Sauerstoff

Damit gelangt man bereits zum verwunderlichen Kern dieser Geschichte. Denn Sauerstoff-28 hätte aufgrund der Zahlenregel eigentlich beständiger sein müssen, löste sich aber schnell auf. Nicht einmal seine Halbwertszeit konnte bestimmt werden. Stabiler war der entstandene Sauerstoff-24, der nur aufgrund seiner typischen acht Protonen als "magisch" gilt. Für ihn gilt die Halbwertszeit von 61 Millisekunden.

Diese Beobachtung "stellt infrage, dass 20 wirklich eine magische Zahl für Neutronen in äußerst neutronenreichen Kernen ist", schreibt die Physikerin Rituparna Kanungo von der Saint Mary's University im kanadischen Halifax in einem Begleitartikel. Weitere Analysen müssen mehr über die Energielücken zwischen den unterschiedlichen Schalen im Atomkern herausfinden, wenngleich direkte Nachweise schwierig zu erbringen sind.

Auch der Plan des Forschungsteams ist, weitere Tests durchzuführen. So wollen sie erstmals ein Sauerstoff-Isotop mit noch größerer Masse als Sauerstoff-28 herstellen, nämlich Sauerstoff-30. Bis dahin liefert die "beeindruckende Feststellung" von Kondo und seinem Team "dringend benötigte Einblicke in die Physik der doppelt magischen Kerne an den Grenzen der Kernbindung", schreibt Kanungo. (Julia Sica, 3.9.2023)