Gunther klingt, als hätte er die Duschszene in Alfred Hitchcocks Psycho ein paar Mal zu oft geschaut. Alle paar Sekunden lässt er einen markerschütternden Schrei los – und hört selbst nach einem höflichen "Gunther, bitte!" nicht damit auf. Gunther, ein Goffinkakadu mit schneeweißem Federkleid, ist einer von rund 180 Papageien, die vor rund eineinhalb Jahren temporär in ein ungenutztes Glashaus bei der ehemaligen Wirtschaftsuniversität im neunten Bezirk gezogen sind.

Papageien essen mithilfe ihrer Zehen – auch den Nachmittagssnack.
Papageien essen mithilfe ihrer Zehen– natürlich auch den Nachmittagssnack.
Helena Lea Manhartsberger

Einst kümmerten sich in diesem Gewächshaus der Uni Wien angehende Botanikerinnen und Botaniker auf langen Tischen um ihre Pflanzen. Heute dreht sich im Papageienschutzzentrum alles um die exotischen Vögel, die man von draußen schon lange hört, bevor man sie sieht. Der weiße Nacktaugenkakadu Asterix sitzt auf einem Ast in einem Fluggehege und sagt alle paar Sekunden "Hallo", was immer wie eine Frage klingt. Aus einem anderen Bereich des Gebäudes, das von der Arbeitsgemeinschaft Papageienschutz angemietet wurde, ertönt ein gurgelartiges Pfeifen, das fast wie das Martinshorn eines Rettungsautos klingt. Und Gunther ist Gunther.

Komplizierte Haltung

Die Luftfeuchtigkeit im Papageienschutzzentrum ist so hoch, dass einem innerhalb kürzester Zeit die Kleidung am Leib pickt. So brauchen es die exotischen Tiere. Genauso wie viel Platz und Beschäftigung: In den großen Volieren gibt es Äste, Seile, Spielsachen und Kartons, die von den Schnäbeln innerhalb kürzester Zeit zerschreddert werden und ausgetauscht werden müssen.

Graupapageien sind als Haustiere besonders begehrt. Die intelligenten Tiere müssen aber ständig gefordert und beschäftigt werden.
Graupapageien sind als Haustiere besonders begehrt. Die intelligenten Tiere müssen aber ständig gefordert und beschäftigt werden.
Helena Lea Manhartsberger

Schillernde Aras, majestätische Kakadus und Graupapageien mit roten Schwanzfedern haben in der Asphaltwüste des neunten Bezirks nichts verloren. Sie sind in tropischen Gefilden in Südamerika, Australien und Asien zu Hause und dort in großen Schwärmen unterwegs. Das Glashaus ist für viele von ihnen das Ende einer langen Reise. Die Tiere werden vom Amtstierarzt wegen schlechter Haltungsbedingungen oder vom Zoll beschlagnahmt, oder sie kommen aus Tierheimen.

Auch Gelbhaubenkakadu Skywalker hat ein Zuhause gefunden.
Auch Gelbhaubenkakadu Skywalker hat ein Zuhause gefunden.
Helena Lea Manhartsberger

Viele wurden auch von ihren Besitzerinnen und Besitzern hier abgegeben. Denn die Haltung eines Papageis ist viel komplizierter, als virale Tiktok-Videos mit putzigen, tanzenden Papageien vermuten lassen. Die Tiere können bis zu 90 Jahre alt werden – das passt nicht in jede Lebensplanung. Außerdem sind Papageien so intelligent wie kleine Kinder und müssen beschäftigt und gefordert werden. Viko, ein riesiger hellrosa Molukenkakadu, der Besucherinnen und Besucher neugierig beäugt, kann bis drei zählen und sich selbst Werkzeug basteln, indem er sich Steckerl zurechtschneidet und sich damit am Rücken kratzt.

Tiere als Statussymbol

Sind die Tiere unterfordert, beginnen sie, sich selbst zu verletzen. Was das bedeutet, sieht man einigen zerrupften Vögeln mit kahlen Stellen an, auf denen irgendwann keine Federn mehr nachwuchsen. Der Graupapagei Nico saß 40 Jahre allein in einem kleinen Käfig – ohne die Möglichkeit, die Flügel auszubreiten oder zu fliegen. Und auch ohne Partner – obwohl die Einzelhaltung von Papageien seit Jahrzehnten verboten ist. "Er erlebt jetzt einen zweiten Frühling", sagt Claudia Haberl von der Arge Papageienschutz über den Vogel mit den wachen Augen, der kopfüber von einem Ast hängt und auf seinen Nachmittagssnack wartet. Heute gibt es Kekse.

Das Papageienschutzzentrum ist im neunten Bezirk
Die beiden Aras Carlos und Ares haben sich im Papageienschutzzentrum kennengelernt.
Helena Lea Manhartsberger

Das größte Problem der Papageien, von denen manche Arten akut vom Aussterben bedroht sind: Sie sind wunderschön – darum galt der Tropenvogel früher im Wohnzimmer als Statussymbol, und heute in sozialen Medien. Manche Menschen zahlen tausende Euro für Tiere, die immer wieder auch in der Wildnis eingefangen und geschmuggelt werden. Allein heuer sind bereits 40 Tiere, die etwa Animal-Hoardern – also Menschen, die krankhaft Tiere horten – abgenommen wurden, im Papageienschutzzentrum aufgenommen worden. Um mehr Platz zu schaffen, wird aktuell umgebaut.

Die Vögel hört man, bevor man sie sieht. Im Bild: Gunther.
Die Vögel hört man, bevor man sie sieht. Im Bild: Gunther.
Helena Lea Manhartsberger

"Jedes Tier ist eine eigene Persönlichkeit", sagt Claudia Haberl. Darum muss auch die Chemie stimmen. Mit wem sie die Voliere teilen, entscheiden die Vögel, die monogam leben, selbst: "Das funktioniert nach Sympathie, wie beim Menschen." Für die "Vergesellschaftung", also die Partnersuche, wie die große Liebe hier ein wenig unromantisch genannt wird, gibt es einen eigenen Bereich in einer Voliere. "Viele Papageien haben lebenslange Beziehungen", sagt Haberl, andere leben sich irgendwann auseinander. Und so manches Strohfeuer erlischt irgendwann. Man kennt das.

Das Geschlecht ist den Tieren bei der Partnersuche relativ egal. Carlos und Ares haben sich im Papageienschutzzentrum gefunden: zwei prachtvolle männliche Aras, einer grün, einer rot, so wie sie im Film gern auf den Schultern von Piraten sitzen. Aber so wie in menschlichen Beziehungen gibt es auch bei den Vögeln manchmal Stress: Carlos und Ares sitzen heute schweigsam nebeneinander in ihrem Lieblingseck, ganz hinten im Gehege.

Viele Zwischennutzer

Dafür sind Jakob und Laura, zwei knallgrüne Gelbbrustaras, ein Herz und eine Seele. Die beiden haben sich ebenfalls im Papageienschutzzentrum kennen- und lieben gelernt. Jakob hat nur noch ein Auge, darum folgt er der resoluten Laura, die für ihn zur Blindenführerin wurde, auf Schritt und Tritt. Gerade hangeln sie sich mithilfe ihrer krummen Schnäbel am Gitter nach oben.

Nadja Ziegler ist die Gründerin und Präsidentin der Arge Papageienschutz.
Nadja Ziegler ist die Gründerin und Präsidentin der Arge Papageienschutz.
Helena Lea Manhartsberger

Der neue Standort im neunten Bezirk war für die Arge Papageienschutz ein Glücksfall, erzählt Nadja Ziegler, Präsidentin und Gründerin des Vereins. Als sie vor eineinhalb Jahren hörte, dass das Gebäude frei wird, nahm sie Kontakt mit dem Eigentümer, der Bundesimmobiliengesellschaft, auf. Diese hat das nahe Hauptgebäude der ehemaligen Wirtschaftsuniversität bereits Zwischennutzern aus dem Kunst- und Kreativbereich überlassen. Mit den Papageien sind noch ein paar mehr bunte Vögel dazugekommen.

Vier Monate hat der Umbau vom Pflanzen- zum Papageienzentrum mit einer Fläche von 640 Quadratmetern im Vorjahr gedauert. An das Gewächshaus erinnern heute nur noch die weiß gefliesten Pflanzenbecken, die von den Vögeln zum Planschen genutzt werden, sowie eine riesige Zimmertanne, die bis an die Decke reicht. Der Umzug der Vögel ging mithilfe Freiwilliger innerhalb weniger Tage über die Bühne. "Und die Tiere haben sich schneller eingelebt als die Mitarbeiter", sagt Ziegler.

Ara für die Auslage

Bis Ende 2025 werden die Papageien im Glashaus flattern. Wie es für das riesige Universitätsgelände und auch für das Papageienschutzzentrum danach weitergeht, ist noch offen. Viel Zeit zum Vorausplanen bleibt aber nicht. Gerade läutet das Handy einer Tierpflegerin. Aufgrund einer Allergie will jemand seinen Papagei dringend loswerden: "Danke, wir melden uns."

Es gibt aber auch kuriosere Anrufe: Erst unlängst hat sich jemand gemeldet, der sich einen Ara zulegen wollte, um ihn in seinem Friseursalon in die Auslage zu setzen. "Wir laden diese Menschen immer zu uns ein und zeigen ihnen, wie die Vögel leben. Es gibt niemanden, der rausgeht und sagt: ‚Eigentlich reicht eh der kleine Käfig‘", sagt Haberl.

640 Quadratmeter stehen auf zwei Stockwerken im alten Gewächshaus zur Verfügung.
640 Quadratmeter stehen auf zwei Stockwerken im alten Gewächshaus zur Verfügung.
Helena Lea Manhartsberger

Um mehr über Schutz und Haltung der Vögel zu lernen, waren schon unzählige Kindergartengruppen und Schulklassen hier. Jeden Freitagnachmittag finden Führungen statt. Und auch das Interesse der Anrainerinnen und Anrainer ist laut Haberl groß. Manche würden sich mittlerweile ehrenamtlich engagieren, nicht nur in der Tierpflege, auch im Garten. Und einmal pro Woche kommt ein junger Mann und spielt Gitarre für die Papageien. Gunther freut sich sicher. (Franziska Zoidl, 22.8.2023)