Man glaubt fast, den frischen Wind in der alten Wirtschaftsuniversität (WU) in Wien-Alsergrund hören zu können. Bis zum Umzug an einen neuen Standort vor zehn Jahren gingen Generationen an Wirtschaftsstudierenden ein und aus. Heute sind es Künstlerinnen, Kreative und Schüler einer ukrainischen Schule, die hier temporär Platz gefunden haben. Und der frische Wind, der heulend durchs Untergeschoß pfeift? Der ist weniger dem neuen Leben im Haus als einer Kombination aus stürmischem Wetter und alter Bausubstanz geschuldet.

Aus einer leeren Parkgarage in Wien-Ottakring wurde ein Zwischennutzungsprojekt mit grüner Fassade.
Zwischennutzung in Wien-Ottakring
In einer ehemaligen Parkgarage in Ottakring sind in den letzten Jahren Ideen fürs Klima und die Nachbarschaft entstanden.
David Reumüller

Seit mehr als einem Jahr ist ein Großteil der ehemaligen WU das Zwischennutzungsprojekt West. "Wir haben keine Werbung dafür gemacht – und waren innerhalb kürzester Zeit voll", sagt Katharina Remenyi, Geschäftsführerin der Musicbox, die die Flächen vom Gebäudeeigentümer übernommen hat. Insgesamt gibt es rund 75 Mieterinnen und Mieter, die sich Büros, Atelierräume und Studios eingerichtet haben.

Regelmäßig finden Events und Filmdrehs statt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass es sich bei der Polizeistation oder dem Verhörraum im TV-Krimi eigentlich um Räume in der WU handelt. Generell sind bei den Raumsuchenden kleinere Räume begehrt, die großen Hörsäle sind schwieriger zu bespielen. 98 Prozent des riesigen Areals kenne sie mittlerweile, sagt Remenyi: "Aber wir finden immer noch neue Räume." Zwar ist das Gebäude so groß, dass man sich hier immer allein fühlt. Doch eigentlich ist das Haus voll und die Warteliste lang. Räume, die leistbar sind, sind in der dicht verbauten Stadt ein kostbares Gut.

Das Ende ist gewiss

Bis 2026 darf das Projekt West in der alten WU bleiben. Was die Bundesimmobiliengesellschaft, der das Gebäude gehört, danach vorhat, ist noch offen. Es werde ein Standort für Bildung und Forschung bleiben, heißt es auf Anfrage des STANDARD.

Das West hat 2022 die frühere Wirtschaftsuniversität bezogen.
Das West hat 2022 die frühere Wirtschaftsuniversität bezogen.
Daniela Trost

Wie geht man mit dem Ablaufdatum um? "Man muss wissen, dass es zu Ende geht. Auch wenn man es zwischendurch verdrängt", sagt Katharina Remenyi. In der Garage Grande in Ottakring ist dieses Ablaufdatum schon greifbar. Anstelle der ehemaligen Parkgarage wird der Entwickler Hans Jörg Ulreich einen Wohnbau errichten. Aber bis ein solches Projekt fertiggeplant und genehmigt ist, vergehen Jahre. Daher hat die Gebietsbetreuung Stadterneuerung 2020 das vierstöckige Parkhaus temporär übernommen.

Das Ziel der Zwischennutzung: gemeinsam Projekte für gute Nachbarschaft und gutes Klima entwickeln. Die graue Fassade wurde in den letzten Jahren mit diversen Kletterpflanzen berankt – der Hopfen hat den Kletterbewerb haushoch gewonnen –, Wände mit Street-Art verziert, Bienenstöcke aufgestellt.

Im Grätzel wurde das Projekt von Anfang an angenommen, sagt Irene Grabherr von der Gebietsbetreuung Stadterneuerung. Auf einem Sofa im schattigen Erdgeschoß sitzt eine Familie und kühlt sich ab, weil es in ihrer Wohnung in der Nachbarschaft zu heiß ist. Ein Stockwerk darüber – immer die steile Rampe hinauf – gießt eine Familie mit zwei kleinen Kindern die Tomatenpflanzen, während ein paar Schritte weiter eine Gruppe an Hobbygärtnerinnen ein Vernetzungstreffen hat.

Seit 2019 ist eine alte Schule in Margareten der Creative Cluster.
Seit 2019 ist eine alte Schule in Margareten der Creative Cluster.
Stefan Brenner

Wieder ein Stockwerk darüber lässt sich eine Gruppe von Kindern in weißer Trainingskleidung beim Aikido-Unterricht auf Matten plumpsen. Und noch einmal darüber steht eine Skulptur inmitten der leeren Parkfläche, an der ein Künstler zu wummernder Musik arbeitet. "Es ist ein Raum, wo viel ausprobiert werden und jeder mitmachen kann", sagt Grabherr. Oder: konnte. Denn die Zwischennutzung ist bald zu Ende. "Die Garage soll mit Ende der Saison sanft zu Ende geführt werden", sagt Grabherr. In wenigen Wochen werden im Parkhaus die letzten Tomaten geerntet. "Wir haben immer gewusst, dass dieses Angebot nur temporär ist", betont Grabherr.

Der Hausherr, Hans Jörg Ulreich, setzt bei der Entwicklung von neuen Standorten seit Jahren auf die Zwischennutzung. Im besten Fall ist diese eine Win-win-Situation für alle. Der Eigentümer bekommt dadurch die Betriebskosten retour und Impulse für das Grätzel, die Nutzerinnen wiederum freuen sich über den Platz und über vor Ort entstehende Synergien. Nur haben manche Eigentümer Sorge, sich Probleme ins Haus zu holen, und lassen Räume im Zweifel lieber leer stehen. Dabei hat sich das Business professionalisiert. Mit der Agentur Kreative Räume Wien gibt es seit 2016 einen Vernetzer zwischen Eigentümerinnen und Raumsuchenden.

Was übrig bleibt

Es ist dennoch nicht immer leicht, erfolgreiche Zwischennutzungen abzuschließen: "Das Ende ist immer eine Herausforderung", sagt Uli Fries, Geschäftsführer der Kreativen Räume Wien. In der Regel würden die Beendigung des Mietverhältnisses und der Auszug aber ohne Probleme klappen. Hans Jörg Ulreich schickt einige Monate vorab immer einen Brief, um Nutzerinnen und Nutzer zu informieren. "Meistens wurde die Zwischennutzung ohnehin mehrfach verlängert, sodass am Ende niemand böse ist", sagt eine Sprecherin.

Am 5. Juli wird das Projekt Ein Lido für Ottakring eröffnet.
Am 5. Juli wird das Projekt Ein Lido für Ottakring eröffnet.
Maria Thornton

Professionalität brauche es auch bei Zwischennutzerinnen und Zwischennutzern, betont Katharina Remenyi. Auch wenn noch viel Zeit ist, bis ihr Projekt aus der WU rausmuss, ist heute schon klar, dass das Ende einige Monate in Anspruch nehmen wird – und der Auszug gut organisiert sein muss. Im besten Fall findet sich nach dem Ende einer Zwischennutzung nicht nur ein neuer Ort, der bespielt werden kann. Sondern es bleibt auch etwas im Grätzel zurück. Und wenn es nur die Erinnerung an den frischen Wind ist, die bleibt – die ist nämlich ohne Ablaufdatum. (Franziska Zoidl, 27.6.2023)